Selbstanzeige

 

Gebhard

Gebhard

 

Ich lege mir zur Last, im Zeitraum 2000 bis 2007 als Projektmanager und Berater folgendes begangen zu haben:

Ich habe das bestehende Arbeitssytem gestützt und erhalten.

Beweismittel

  • Druck, Egoismus gegen andere, Scheinheiligkeit, politische Spielchen, Burnout oder Übervorteilung sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Mitauslöser von Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen psychischen wie physischen Verletzungen. Der dazu notwendigen Selbstverleugnung beim Kunden habe ich durch meine Arbeit Raum gegeben. Ich habe die Auffassung gestärkt, dass es wohl keine anderen Lösungen gäbe bzw. die notwendigen Konsequenzen einen inakzeptablen persönlichen Schaden verursachten.
    Der Tatbestand wird dadurch erschwert, dass ich gut am System und der Tatsache verdient habe, dass es seine Mitglieder nachweislich schädigt.
  • Es gibt individuelle vor allem aber auch systemimmanente Gründe für die zunehmende Zahl Kranker, Desillusionierter und Gleichgültiger. Der externe Berater kann mit zunehmender Erfahrung, aufgrund der spezifischen Eigenschaft seiner Arbeit, unterscheiden, welche Auslöser systematisch und welche personenspezifisch sind. Das kann er, weil er in verschiedenen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größe seiner Tätigkeit nachgeht.
    Anstatt an diesen Ursachen etwas zu ändern, habe ich ein Geschäftsmodell zur Krankheits-Linderung entwickelt. Spezielle Methoden, Tools und Dienste, die Probleme gezielt nicht lösen und stattdessen verwalten oder einfach endlos zerreden führen dann zu regelmäßigen Umsätzen. Wirkliche Prävention und nachhaltige Lösungen gefährden dieses kontinuierliches Einkommen, sind riskant und werden nach Möglichkeit auf unvermeidbare Zufälle reduziert.
    Ich zeige mich an, mit Leitbildprozessen, Führungscoachings, Strategiesparrings und Ähnlichem, das keine wirkliche Verbesserung der Arbeitswelt zum Ziel hatte, eine überdurchschnittliche Vergütung realisiert zu haben.
  • Mir bekannte Systeme, Konzepte und Modelle , die eine wesentlich menschengerechtere Betriebswirtschaft versprechen und nachweislich ermöglichen, habe ich wieder besseres Wissen nicht umgesetzt. Im guten Glauben an das Bekannte hielt ich daran fest und verkaufte es meinen Kunden weiterhin.
    Ich zeige mich an, aus dem Akzeptierten Kapital geschlagen zu haben, obwohl man das Sinnvolle erreichen hätte können.
    Hinweis: Es wird angenommen, dass dieses Handeln sich durchsetzt, weil die Verdrängung so einfach ist, dass man die Wirklichkeit tatsächlich vergisst.
  • Unsere Betriebswirtschaft fördert Egoisten, Ignoranten, Narzissten, Demagogen, Unterdrücker, Rhetoriker, Snobs, Selbstüberschätzer, Krieger, Strategen oder auch Fundamentalisten. Als Berater fand ich sie in allen Unternehmen unabhängig von Größe oder Branche und fast immer in formalen Führungspositionen. Ihre Aufgabe ist es Schlachten zu schlagen, Feinde zu vernichten, Bauern zu opfern, Fußvolk zu verbrennen, Intrigen zu spinnen oder anders gesagt Menschen auszubeuten und dann zurück zu lassen, wenn ihr Leistungspotential abnimmt. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wird die Mitwirkung von Taktikern, Verwaltern und Bürokraten benötigt.
    Ich zeige mich an, dass ich mich instrumentalisieren ließ, ich ließ andere für mich entscheiden, mich Handlungen anweisen und sie so die Arbeitswelt mit meinen Talenten zu dem machen, was sie ist.
    Hinweis: Das ist ein einvernehmlich parasitäres Vorgehen, mit dem man das Arbeitssystem wissenlich krank hält, um so von ihm zu profitieren. Andere zu übervorteilen ist dabei intelligent, profitabel und wird angestrebt.

Hinweis: Mein Verhalten war nie illegal oder hat sich über das „was sich gehört“ hinweg gesetzt.
Erklärung: Ich habe nicht bestochen oder betrogen, auch dann nicht, wenn es mir angeboten wurde und ohne Schwierigkeiten möglich gewesen wäre.

Konsequenz – Das RealExperiment
Aktuell wird debattiert und nicht gehandelt. Beispiele wie Götz Werner, Gernot Pflüger oder W.L. Gore sind gut, sie sprengen allerdings nicht wirklich die Systemgrenzen. Nach wie vor gibt es sie, die elitäre Gruppe der Eigentümer/ Chefs – auch wenn Gernot Pflüger das als Beleidigung empfindet. Dennoch ist genau das der einzige Grund für sein höherers Einkommen. So sehr ich diese und andere Beispiele bewundere, um einen Wandel zu schaffen gehen sie nicht weit genug.

Ich will den Wandel der Arbeitswelt. Ich will, dass Menschen sich erfüllen und Spaß in ihrer Arbeit haben. Ich will, dass Arbeiten und Leben eins sind, anstatt ausbalanciert werden zu müssen. Ich will, dass Arbeit, Beziehung, Familie, Hobby und Interessen den gleichen Stellenwert haben können. Ich will, dass wer viel verdienen möchte, es auch kann. Ich will, dass Menschen die Freiheit haben zu entscheiden, mit wem sie zusammen arbeiten und mit wem nicht, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ihre Existenz und ihren Lebensstandard zu verlieren. Ich will, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen, die ihnen das alles ermöglicht.

Dafür ziehe ich die Konsequenzen.
Unternehmen sind darauf zu testen, dass nicht die formalisierte Führung, sondern sinnhafte Handlungen mächtig und gültig ist. Sie sind darauf zu testen, dass kein Produkt, keine Dienstleistung und kein Handelsgeschäft den Rahmen vorgibt und stattdessen der Rahmen sinnvolle und wirtschaftliche Produkte, Dienstleistungen und Handelsgeschäfte ermöglicht und hervor bringt. Unternehmen sind darauf zu testen, dass die Menschen anstatt über Leistungsentschädigung zu debattieren, gleichwertig füreinander arbeiten. Um all dies zu tun, braucht es ein Experiment außerhalb von Labors, Round Tables, Netzwerken, Universitäten und Institutionen. Es braucht ein Experiment in der Realität.

Meine Konsequenz ist: Ich höre auf, das bestehende Arbeitssystem zu stützen und mache das RealExperiment.

Jetzt ist es an der Wirklichkeit zu zeigen, ob die Moderne Betriebswirtschaft mit ihrer unmenschlichen Objektivierung der Personen Recht hat oder ob es sich um eine wachsweiche Sozialwissenschaft handelt, die vollkommen neu gedacht werden muss.

Gebhard Borck – im Oktober 2010

6 Antworten to “Selbstanzeige”

  1. Thomas Koch Says:

    Hallo,

    ich habe gerade diese Woche meine Kündigung eingereicht und habe vor genau das gleiche Experiment wie Du durchzuführen. Ist es möglich, ein profitables IT Unternehmen zu bauen, dessen Prinzipen Verantwortung, Exzellenz, Freude und Solidarität sind.
    Ich halte mich für einen guten Softwareentwickler, habe aber keine Betriebswirtschaftlichen Kenntnisse.
    Ich schaue mal, dass ich mehr über Dich erfahre, vielleicht können wir ja kooperieren.

    • gebhard Says:

      Hallo Thomas,

      ich sind ja wir und wir sind im Moment zu dritt (Andreas, Markus und ich). So seltsam das klingt, ich freue mich über Deine Kündigung und Deinen Willen, es anders zu machen. Schau mal, was Du mehr über mich/ uns in Erfahrung bringst und wenn es Dir für Deine Entscheidung nicht ausreicht, kontaktiere uns gerne via Mail. Wir haben auch ein paar Softwareideen, die nach Entwicklung schreien. Also kann eine Kooperation tatsächlich Sinn haben.

      Gruß
      Gebhard

  2. Immo Sennewald Says:

    Lieber Gebhard, all Eure Unternehmungen verfolge ich mit großer Sympathie und unterstütze sie vorbehaltlos; mich beeindruckt diesmal die Ehrlichkeit der „Selbstanzeige“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob sie das Vorhaben voranbringt, weil der Text inkonsistent ist, sich streckenweise als Glosse liest, dann wieder als Pamphlet – jedenfalls die Deiner eigenen „Ex-Lebensweise“ Anhängenden nicht unbedingt überzeugen wird. Die neue Form des Wirschaftens versteht sich – so weit ich Euch begriffen habe – nicht als neue Heldensaga. Insofern bedarf es eigentlich auch keiner Neuauflage des „Von Saulus zu Paulus“-Mythos, sondern einiger einleuchtender Argumente pro Selbständigeit – dem Lust-Prinzip folgend.

    • gebhard Says:

      Hallo Immo,

      Du schreibst:

      jedenfalls die Deiner eigenen „Ex-Lebensweise“ Anhängenden nicht unbedingt überzeugen wird

      Ich will ja auch niemanden überzeugen. Ich will zum Denken anregen. Wenn ich die erreiche, die sich unwohl fühlen in unserer Arbeitswelt und mit meinem Text auch einen Teil ihrer Wurzeln des Unwohlseins beschreibe, dann ist schon viel geschafft. Sollte es dem Text darüber hinaus gelingen, dass sich einige dann nicht mehr selbst aushalten, ihre Welt überdenken und sich dafür entscheiden ihr Unwohlsein Schritt für Schritt zu überwinden anstatt es weiterhin zu ertragen wäre der Erfolg des Textes beeindruckend.

      Darüber hinaus schreibst Du:

      Insofern bedarf es eigentlich auch keiner Neuauflage des „Von Saulus zu Paulus“-Mythos, sondern einiger einleuchtender Argumente pro Selbständigeit – dem Lust-Prinzip folgend.

      Ein heldenhafter Saulus-Paulus Mythos bin ich nicht! Dennoch beschreibt der Text das was ich gesehen habe und sehe, wie ich mich entschieden habe und wo ich hin möchte. Da ist nichts mythisches dran. Was allerdings dran ist, ist der Fakt, dass man so eine Entscheidung treffen muss, will man an der bestehenden Arbeitswelt etwas ändern.
      Ich glaube es ist nicht ausreichend, sich über unser Arbeiten und Wirtschaften zu beschweren. Es ist auch nicht ausreichend, für sich eine Insel der Glückseligkeit inmitten der Ausbeutung zu schaffen und dann die Augen vor dem Rest zu verschließen. Ich meine es ist notwendig, neue alternative und vielversprechende Wege auszuprobieren und genau das machen wir mit dem RealExperiment.
      Ob es gelingt, die Welt schon so weit ist? Ich weiß es nicht, mein Gefühl sagt: Die Zeichen stehen gut!
      Ob ich dafür die Anhänger der modernen Betriebswirtschaftslehre überzeugen muss? Das glaube ich nicht. Wenn wir einen Gutteil der Zweifler in ihren Zweifeln bestärken können, wird schon viel passieren – und sei es nur, dass sie andere zum Zweifeln bringen.

      An die einleuchtenden Argumente glaube ich auch nicht. Davon gibt es schon so viele, sie werden in hunderten, wenn nicht sogar tausenden von Büchern beschrieben ich bin mit ihnen jahrelang predigen gegangen, das Ergebnis: Wenige haben zugehört und noch weniger haben danach etwas anders gemacht.
      Versteh mich nicht falsch, nach wie vor bringe ich die einleuchtenden Argumente ein wo ich kann und doch braucht es augenscheinlich mehr als nur einleuchtende Argumente. Das RealExperiment will ein Exempel sein, eine wirkliche Manifestation dieser einleuchtenden Argumente. Auch hier wieder …
      ob es gelingt? Wir wissen es nicht.
      Es nicht auszuprobieren wäre eine fatale Fehlentscheidung. Hier könnte man sich wieder einen epischen Vergleich aus den Fingern saugen und sagen: Wir prüfen, ob man uns ans Kreuz nageln wird oder nicht, doch das ist sicherlich zu hoch gegriffen ;).
      Einer versklavten Welt den Wert der Freilassung von Sklaverei zu verargumentieren wird einige belebende Diskussionsabende bringen, an der Sklaverei allerdings kaum etwas ändern. Selbst mit gutem Beispiel voran zu gehen und die Fesseln abzulegen, muss kein Heldenepos sein, kann aber viel bewirken. Vor allem dann, wenn es in freundschaftlicher Begleitung der einleuchtenden Argumente geschieht.

      Liebe Grüße
      Gebhard

  3. projekt (B)LOG » Egoisten, Ignoranten, Narzissten, Demagogen, Unterdrücker, Rhetoriker » By Dr. Eberhard Huber Says:

    […] Gebhard Borck einem der Gründer des Real Experiments. Sein nachdenklich machender Beitrag ist mit Selbstanzeige. […]

  4. Tweets that mention Selbstanzeige « RealExperiment sinnvoll·wirtschaften -- Topsy.com Says:

    […] This post was mentioned on Twitter by Martina Grom, ralfw. ralfw said: Zwei "Selbstanzeigen" an einem Tag: http://bit.ly/9H7clQ und http://bit.ly/9Sxmap. Es bewegt sich was. Haben die Mayas doch recht mit 2012? […]


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